Aus der Coaching Praxis: Geschwisterstreit bedroht Existenz des Unternehmens
Ein tragischer Unfall riss den Unternehmensführer eines mittelständischen Unternehmens der Elektrotechnik mit 58 Jahren überraschend aus dem Leben. Der Patriarch hatte immer alles selbst in die Hand genommen und hätte wahrscheinlich noch bis ins hohe Alter sein Unternehmen geführt. Nun hinterließ er eine Frau, drei Kinder und ein Unternehmen mit ca. 400 Mitarbeitern.
Nach einer Phase der Ratlosigkeit und Trauer entbrannte in der Familie ein heftiger Kampf um die Zukunft des Unternehmens. Die älteste Tochter, eine Buchhalterin, wollte das Unternehmen verkaufen, weil sie keine*n Unternehmer*in in der Familie sah. Es gab erste Anfragen eines chinesischen Wettbewerbers. Der mittlere Sohn, ein Ingenieur, hatte ein eigenes kleines Unternehmen der Elektrotechnik mit mäßigem Erfolg gegründet und wollte nun das Unternehmen des Vaters führen. Der jüngste Sohn, ein angehender Arzt, wollte Frieden in der Familie und sicherstellen, dass das Familienvermögen erhalten bleibt und die Mutter versorgt ist. Er war es, der die Idee einbrachte, einen psychologischen Berater mit Coaching zu beauftragen.
Im Coaching zeigte sich relativ schnell, dass die Problematik der Nachfolge nicht mit Logik und Sachargumenten zu lösen war. Jede Position schien falsch zu sein, wenn Sie von einem anderen Familienmitglied als richtig befunden wurde. Mit dem Hinweis auf Ursachen in der Familienkonstellation konnten zunächst einige und später alle beteiligten Familienmitglieder davon überzeugt werden, dass erst ein Einzelcoaching und im Verlauf ein Familiencoaching nötig war.
In den parallel laufenden Coachings zeigte sich die Struktur der Familie sehr deutlich, insbesondere über Imaginationsmethoden konnte ihre Dynamik gut veranschaulicht werden. Der gerade verstorbene Vater war eine dominante Persönlichkeit (Bild Gorilla). Er arbeitete viel und war selten zuhause. Wenn er da war, war es laut. Die Mutter versuchte fleißig, alles recht zu machen (Bild Hamster im Laufrad). Unzufrieden mit ihrer Ehe, ihrer mangelnden beruflichen Entwicklung als Hausfrau und ihrer eigenen Kindheit projizierte sie alle ihre Wünsche nach Selbstverwirklichung in ihre Kinder, die schon in ihrer frühkindlichen Entwicklung mitbekamen, dass Sie für die Mutter eine Funktion zu erfüllen hatten. Die Erziehung war geprägt von Ambitionen und Regeln. Emotional beschrieben die Kinder ihre Mutter als „fürsorglich distanziert“. Die älteste Tochter übernahm schon früh eine Führungsrolle in der Familie, wenn der Vater nicht da war. Sie war frühreif, zielstrebig und ergriff oft die Initiative. Zu ihren Brüdern war sie wie eine zweite Mutter und mit dieser Rolle überfordert. Nach ihrem Abschluss an einem Wirtschaftsgymnasium machte sie eine kaufmännische Lehre, um schnell vom Elternhaus finanziell unabhängig zu sein und auf eigenen Beinen zu stehen. Der jüngste Sohn war Mamas Liebling. Er kümmerte sich um die Mutter, wenn es ihr schlecht ging. Später studierte er Medizin um Arzt zu werden. Der mittlere Sohn, in der „Sandwich“-Position zwischen starker Schwester und verwöhntem Bruder hatte dem Vater immer nacheifern wollen. Dieser hatte ihm jedoch die Unternehmensnachfolge nie zugetraut. So studierte und promovierte der Sohn in Elektrotechnik und gründete sein eigenes Unternehmen, um es dem Vater zu zeigen. Der Vater hatte ihn nie gelobt. Auch die Promotion hielt er für nutzlos: „Wir brauchen hier keinen Herrn Doktor.“
Im Laufe des Coachings lernten die Familienmitglieder zu differenzieren, welche Gefühle eigentlich in frühere Zeiten gehören. Entscheidende Erlebnisse konnten bearbeitet und aus Sicht der heutigen Zeit neu bewertet werden. Auch wurde ein Bewusstsein dafür entwickelt, welche Rolle jedes Familienmitglied in der Familie hatte und wie er*sie diese in die betriebliche Diskussion getragen hat. Die Bearbeitung einiger früherer Familienkonflikte trug zu einer deutlichen Versöhnung der Familienmitglieder bei. Dennoch fühlten sich die Geschwister noch nicht so weit, sich dauerhaft und regelmäßig gemeinsam um den Betrieb des Vaters zu kümmern. Dazu waren die Persönlichkeiten zu unterschiedlich und die Erfahrung nicht ausreichend. So entschied die Familie zwar das Unternehmen zu behalten, jedoch für die Führung einen qualifizierten Geschäftsführer einzustellen. Die Familienmitglieder zogen sich in die Gesellschafterversammlung zurück. Es wurde jedoch die Perspektive vereinbart, dass die beiden älteren Geschwister nach gesammelter Berufserfahrung außerhalb des väterlichen Betriebs später in der Geschäftsleitung mitwirken könnten.
Auf Grund der angestoßenen Erkenntnisprozesse nahmen zwei Familienmitglieder noch über mehrere Jahre ein begleitendes persönliches Coaching in Anspruch.
Anm.: Zum Schutz der Privatsphäre unsere Klienten wurde das vorstehende Fallbeispiel geändert. Die Familiendynamik und die eingesetzten Methoden sind unverändert wiedergegeben.
Prof. Dr. Thomas Kretschmar
Wenn Sie sich für ein Einzelcoaching interessieren, wenden Sie sich an uns, wir informieren Sie gerne über Ihre Möglichkeiten.