Back zu normal? – Wie du mit 5 Tipps den Übergang zur neuen Normalität meisterst
Die Pandemie hat uns allen viel abverlangt. Wir sind von einem in den anderen Lockdown geschlittert und haben uns immer wieder an neue Bedingungen und Regelungen anpassen müssen. Viele von uns waren mit verschiedenen beruflichen sowie privaten Sorgen und Nöten konfrontiert, die Gefühle von Verunsicherung, Überforderung, Wut, Hilflosigkeit oder Einsamkeit ausgelöst haben. Während wir Home Office mit Homeschooling jongliert und in den Funktionsmodus geschaltet haben, ist kaum Zeit geblieben, sich den eigenen beruflichen, privaten und psychischen Themen zu widmen. Auch für Führungskräfte war und ist es eine Herausforderung, die praktische, organisatorische und psychische Instabilität zu halten, die im Unternehmen besteht. Aus psychoanalytischer Sicht, ist hier das Konzept des „Containings“ hilfreich. Was das genau ist und wie du als Führungskraft „Containment“ in deinem Unternehmen nutzen kannst, um in deinem Unternehmen eine gelungene neue Normalität, erfährst du hier.
Die Erfahrungen, die wir mit der Pandemie gemacht haben, treffen nun auf die Anforderung, sich an veränderte Arbeitsbedingungen anzupassen. Je nach Unternehmen, bleiben die Mitarbeiter im Home Office, organisieren sich in hybriden Modellen oder kehren vollständig an ihren Arbeitsplatz zurück. Damit diese Veränderung gelingen kann, ohne dass dabei die psychische Gesundheit und die Arbeitsfähigkeit deiner Mitarbeiter gefährdet wird, kommt dir als Führungskraft eine besondere Aufgabe zu. Mehr denn je brauchen deine Mitarbeiter jetzt jemanden, der ihnen bei der Verarbeitung psychischer Belastungssituationen hilft. Ein Konzept aus der Psychoanalyse, dass dir dabei behilflich sein kann ist das des „Containings“ von W. R. Bion (1992). Obwohl der Begriff des „Containings“ aus der Psychoanalyse kommt, lässt er sich auch hervorragend im Businesskontext anwenden.
Ursprünglich beschreibt Bion in seiner Arbeit (1992) die Fähigkeit von Therapeuten, die starken Affekte ihrer Patienten aufzunehmen, diese zu modifizieren und auf „verdauliche“ Weise zurückzugeben, so dass diese ihre Gefühle aushalten, akzeptieren und als zu sich gehörig erleben können. Für Führungskräfte benötigen gewisse „Containing“-Fähigkeiten für ihre Arbeit. Gerade in Krisenzeiten wie der Pandemie sind sie häufig starken Spannungen und Projektionen ihrer Mitarbeitenden ausgesetzt und es gilt diese gut aufzufangen, um das Team stabil zu halten. Doch wie sieht das nun in der Praxis aus?
5 Tipps wie du mit „Containing“ den Übergang zur neuen Normalität meisterst
Insgesamt gibt es 2 verschiedene Ebenen, auf denen du ansetzen kannst, um deinen Mitarbeitern bei der Verarbeitung von psychischen Belastungen oder Spannungszuständen zu helfen. Zum einen gibt es da die mentale Ebene und zum anderen die strukturelle Ebene, auf denen du „Containing“-Maßnahmen einsetzen kannst.
Containing für einzelne Mitarbeiter
Gerade in der Pandemie, in denen psychische Belastungen auf nötige Anpassungsleistungen am Arbeitsplatz treffen, ist es wichtig, Kapazitäten für persönliche Gespräche für deine Mitarbeiter zu schaffen, in denen sie mit dir über ihr Befinden, ihre Sorgen und Belastungen sprechen können. Achte dabei darauf, dass du es deinen Mitarbeitern freistellst, ob sie dieses Gespräch mit dir in Anspruch nehmen wollen, und versuche ihnen als empathisches, aktiv zuhörendes Gegenüber zur Verfügung zu stehen. Wichtig ist dabei, dass du keine Ratschläge erteilst, das Gespräch nicht an dich ziehst und das Gesagte nicht abtust oder verurteilst. Höre dir die Unsicherheiten, Ängste, Sorgen und Befürchtungen erst einmal an, nimm sie in dich auf und bewege sie innerlich vielleicht auch etwas hin und her, bist du verstanden hast, um was es deinem Mitarbeiter genau geht. Dadurch vermittelst du nicht nur Vertrauen, Halt und Orientierung, sondern schaffst auch einen Ort der Entlastung. Wenn sich dann ein geeigneter Zeitpunkt ergibt, kannst du deinem Mitarbeiter deine Gedanken und Ideen dazu mitteilen und sie dadurch zu persönlichem Wachstum anregen. Die zentrale Idee ist: Hinter jedem Problem steckt ein (noch) nicht erfülltes Bedürfnis.
Containing durch Beauftragte
Nicht jede Führungskraft schafft es, regelmäßig einen Raum für ein persönliches Gespräch zu schaffen. Manche tun sich auch selbst schwer damit, die belastenden Gefühle im Team auszuhalten. Sollte das bei dir der Fall sein, bist du mit der aktuellen Krisensituation und den Anforderungen nicht alleine. Binde deine Mitarbeiter mit ein, in dem du einen oder mehrere Mitarbeiter zu „Containment-Beauftragten“ ernennst, die dir unterstützend zur Seite stehen. Vielleicht gibt es da jemanden in deinem Team, der eine hohe Empathiefähigkeit, den Überblick über die Prozesse im Team und das Vertrauen der Mitarbeiter hat. In dem du diesen Mitarbeitern Kapazitäten und Freiräume ermöglichst, sich ihrer Aufgabe als „Containment-Beauftragten“ zu widmen, können sie deinen Mitarbeitern entlastend, unterstützend und beruhigend zur Seite stehen.
Containing im Team
Auch auf Team-Ebene kannst du „Containing“- Möglichkeiten schaffen. Gerade nachdem alle aus dem Home Office wieder zurück ins Büro gekommen sind, der informelle Austausch in den letzten 2 Jahren oft eingeschlafen ist und kaum jemand über den anderen Bescheid weiß, sollte ein Raum für gemeinsamen Austausch geschaffen werden. Hierzu bietet sich beispielsweise ein weekly touchpoint an, in dem in der Gruppe über die aktuelle Stimmungslage, die Herausforderungen und die Dynamiken im Team gesprochen wird. Eine Blitzlichtrunde zu Beginn des Meetings kann dabei helfen, einen ersten Eindruck über die Stimmungen im Team zu erhalten, die im Verlauf des Meetings aufgegriffen und bearbeitet werden können. Deine Aufgabe dabei ist, den Rahmen zu halten, also den Anfang und das Ende, die Themen und den Ablauf im Blick zu haben. Solche Teamrunden sind nicht nur entlastend, sondern schaffen auch ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Bindung an das Unternehmen.
Containing durch Routinen und Struktur
Während die ersten drei Vorschläge eine Möglichkeit des „Containings“ auf mentaler Ebene darstellen, können auch das Schaffen von Strukturen, Prozessen und Regeln Sicherheit, Halt und Orientierung für deine Mitarbeiter bieten. Eine klare Regelung und Bereitstellung der Hygienemaßnahmen im Unternehmen sowie eine transparente Kommunikation dieser, vermittelt das Gefühl, dass dir die Gesundheit und Sicherheit deiner Mitarbeiter wichtig ist und du dich um sie sorgst. Gerade in der Pandemie waren viele von uns ständigen Veränderungen ausgesetzt, die sie weder beeinflussen noch umgehen konnten. Das Selbstwirksamkeitsgefühl blieb somit meist auf der Strecke. In dem du deine Mitarbeiter in Entscheidungs- und Veränderungsprozesse miteinbeziehst und sie daran teilhaben lässt, gibt du ihnen das Gefühl, den dauernden Veränderungen nicht passiv ausgeliefert zu sein, sondern diese aktiv mitgestalten zu können. Das ist nicht nur für das Selbstwirksamkeitsgefühl, sondern auch für den Selbstwert wichtig und schafft ein Gefühl des Gesehen Werdens im Arbeitskontext. Letzteres lässt sich auch dadurch herstellen, indem du bereits kleinere Anliegen und Veränderungswünsche deiner Mitarbeiter aufgreifst und sie in die bestehenden Strukturen und Prozesse integrierst. Ist das Meeting zu ausufernd oder zu unpersönlich, kannst du deinem Team mit kreativen Ideen entgegenkommen. Wie wäre es, für die Meetings jemanden zu ernennen, der den Hut auf hat, der die Themen im Vorfeld sammelt und das Meeting so strukturiert und kürzt? Oder wie wäre es, wenn jemand zu Beginn eines jeden Meetings eine Minute über einen persönlichen Gegenstand spricht oder ihr das Meeting mit einer Blitz-Entspannung startet?
Containing im größeren Kontext
Momentan haben nicht nur deine Mitarbeiter mit existenziellen Ängsten zu kämpfen und wissen oft nicht, was als nächstes zu tun ist, sondern den allermeisten von uns geht es so. Dazu schreibt Claudia Nagel (2020), dass die Pandemie in unserer Gesellschaft starke psychosoziale und psychodynamische Prozesse auslöst, die die Ordnung und Strukturen einer Gesellschaft dauerhaft verändern können. Neben der Corona Pandemie, schreibt sie von einer Epidemie der Angst und Verunsicherung, die durch die Regierung, aber auch durch Führungspersönlichkeiten eingedämmt werden muss. Neben der Verantwortung, die Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern haben, sollte ihre soziale Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ein Anlass dazu sein, auch über ein „Containing“ im größeren, allgemeingesellschaftlichen Kontext nachzudenken. Sie schlägt Führungskräften vor, sich als Vertreter der Gesellschaft zu zeigen. Beispielsweise könntest du dich, mit anderen Unternehmern öffentlich über deine Gefühle, Wahrnehmungen und Hoffnungen austauschen oder dich gemeinsam mit dem Vorstand, dem C-Level oder dem Aufsichts-bzw. Betriebsrat mittels Zoom, Intranet oder Social-Media-Kanäle als Mensch zu erkennen geben. Dies könnte ebenfalls dazu beitragen, einen gemeinsamen, offenen Umgang mit schwierigen Gefühlen zu ermöglichen und das Gefühl zu vermitteln, die Krise gemeinsam bewältigen zu können.
Julia Perlinger, Coach bei dynaMIND
Literatur:
Bion, W. R. (1992). Lernen aus Erfahrung. Frankfurt a. M.; Suhrkamp
Nagel, C. (2020): Leadership in times of COVID19: Containment ist key – you are desperately needed!
https://forumstrategy.org/leadership-in-times-of-covid19-containment-is-key-you-are-desperately-needed/