Stress verstehen – Teil 2: Resilienz und Persönlichkeit
Stress zu verstehen und zu regulieren wird in unseren Zeiten immer wichtiger, denn chronischer Stress wirkt nachhaltig schädigend auf das Immunsystem, auf den seelischen und körperlichen Allgemeinzustand. Unsere körperliche Reaktion auf Stress ist ein instinktiver und kognitiv wenig beeinflussbarer körperlicher Zustand. Es ist aber möglich, persönlichen Stressoren auf die Spur zu kommen und die Intensität von Stresserleben zu reduzieren. Die folgende Artikelreihe umfasst die Themen:
1. Die Stressreaktion
2. Resilienz und Persönlichkeit
3. Psychohygiene und Stärkung der Immunsystems
Teil 2: Resilienz und Persönlichkeit
Es ist kein Geheimnis – die Fähigkeit der Menschen, gelassen und entspannt in stressigen Situationen zu bleiben ist sehr unterschiedlich. Manche Menschen reagieren sehr sensibel oder schnell gereizt, sie erleben sich als dünnhäutiger als andere. In diesem Zusammenhang ist viel geforscht worden, z. B. über Hochsensibilität, Coabhängigkeit, Resilienz oder ein übermäßiges Verantwortungserleben. Deutlich wurde, neben einer potentiellen genetischen Perspektive, macht es Sinn, sich ein wenig genauer anzusehen, wie wir innerlich mit Stress umgehen und wieso manche Menschen resilienter als andere zu sein scheinen.
Spezialisiert auf das Thema der Stressregulation haben sich auch die Traumapsychotherapie und bindungsorientierte psychodynamische Ansätze. Aus dieser Sicht und ein wenig vereinfacht kann dieser Prozess so dargestellt werden:
Die Co-Regulation
Ein Baby ist noch nicht in der Lage Stresserleben selbständig zu regulieren. Es lebt in einer symbiotischen Co-Existenz mit der Mutter. Das Erleben von Hunger oder Kälte werden nicht als solche konkret wahrgenommen, d.h. sie werden nicht mentalisiert. Das Baby erlebt ein unspezifisches Unwohlsein oder einen Schmerz und ist ihm hilflos ausgeliefert. Es erlebt Stress. Im besten Falle spüren die Eltern, dass das Kind etwas braucht. Sie wenden sich ihm zu und häufig spiegelt ihre Mimik im ersten Moment das wieder was das Kind erlebt. „Oh… du hast ja Hunger…“ . Das ist die Voraussetzung für das Baby um im weiteren Verlauf seiner Entwicklung um seine inneren Zustände zunehmend besser und differenzierter wahrnehmen und damit auch für sich einordnen zu können. Es ist der Beginn unserer Mentalisierungsfähigkeit und damit der Fähigkeit, Gefühle ab einem bestimmten Alter nicht mehr rein somatisch zu erleben, zB. als Bauchschmerzen, sondern eben als Gefühle, die mental erfasst werden können . Aber ein solches Benennen der Zustände durch die Eltern reicht natürlich nicht für das Baby. Nachdem die Eltern das Bedürfnis oder das Gefühl des Babys gespiegelt haben wechselt häufig deren Mimik und Tonlage. Sie beginnen das Gefühl zu verändern „na dann mal schnell, wenn du solchen Hunger hast, möchtest du wahrscheinlich an die Brust“, in ihrer Stimme hörbar ist die Zuversicht und die Veränderung, die nun kommen wird. Ganz verlangsamt bedeutet das: der Stress des Babys wird aufgenommen, benannt und differenziert und dann reguliert und beruhigt. Dieser Prozess der Co-Regulation durch die Eltern ist existentiell für die Entwicklung des Kindes. Sowohl eine Vernachlässigung als auch eine Überregulation können den Kind schaden. Eine Vernachlässigung oder grobe Misskommunikation zwischen Eltern und Kind (wenn die Eltern die Signale des Kindes dauerhaft missverstehen) führt dazu, dass Gefühle und Bedürfnisse häufig bis ins Erwachsenenalter sehr somatisch und undifferenziert erlebt werden, die Fähigkeit zur Selbstberuhigung ist dann ebenfalls häufig eingeschränkt entwickelt. Aber auch eine Über-Stimulation, ein zu schnelles Reagieren der Eltern ist nicht gut für die Entwicklung des Kindes. Die Entwicklung des Kindes, heraus aus der Co-Regulation hin zu einer Autoregulation ist dann an dieser Stelle gestört. Denn in der normalen Entwicklung des Kindes ist ein solcher Prozess von der Coregulation hin zu einer selbstständigen Regulation des eigenen Erregungslevels weicher Übergang.

Das persönliche Toleranzfenster
Später als Erwachsene unterscheiden wir uns dann sowohl in der Quantität unserer Stressreaktion als auch in unserer Fähigkeit uns zu beruhigen und zu entspannen. Für Menschen die gut begleitet wurden in ihrer Entwicklung und die sicher gebunden sind, sind auch stärkere Stressoren noch integrierbar. Sie ertragen auch Ruhephasen leichter. Ihr persönliches „Toleranzfenster“ * (Dami Charf, Window of Tolerance) ist breiter. Um den Bezug zu meinem ersten Artikel herzustellen: Ihre vegetative Amplitude schwankt zwar auch, sie erleben sympathische und parasympathische Aktivierungsphasen, aber sie sind selten außerhalb dieser Komfortzone. Das innere Toleranzfenster derjenigen, die als Kinder wenig gespiegelt und aufgefangen wurden, ist dagegen relativ eng. Sie erleben sowohl zu starke Aktivierung schnell als zu viel, aber auch zu wenige Reize schnell als zu wenig. Ein rascher Wechsel zwischen hoher Aktivierung und schneller Überreizung und depressivem Erleben von innerer Leere ist nicht selten. Die Betroffenen befinden sich entweder in einer Über- oder in einer Unterstimulation und beide Zustände sind hochgradig mit Stresserleben verbunden.
Selbstregulation lernen
Was also können Menschen, die wenig gelernt haben, sich zu regulieren, heute als Erwachsene noch tun, um sich entspannter zu fühlen? Die zeit zurück zu drehen ist nicht möglich – aber es ist möglich, zu lernen, sich selbst ein*e gute*r Erwachsene*r zu sein. In Momenten in denen wir uns unter Druck erleben und die Anspannung zu hoch wird, in solchen Momenten können wir innehalten und beginnen uns neu zu begleiten. Wir können antreibende Gedanken als solche entlarven und auch die Momente, in denen wir beginnen uns selbst anzugreifen. Zurück zu unserer Theorie: gehen wir davon aus dass wir die Stimmen und das Erleben mit unseren Eltern verinnerlicht haben. Die guten und unterstützenden sowie die antreibenden und kritischen Stimmen. Wer also lernen will, gelassener zu bleiben, der muss zuerst auf die Suche gehen nach sekundenschnellen und manchmal unbewussten Reaktionen, in denen wir uns nachhaltig selbst schaden. In denen wir uns nicht begleiten und nicht freundlich und unterstützend sind mit uns selbst. Manchmal hilft es dann, so zu tun als ob: „Wenn ich jetzt ein entspannter und mir selbst freundlich zugewandter Mensch wäre: Was würde ich jetzt denken und tun?“

Andrea Wurst, Dipl. Psych. und Coach bei dynaMIND