Der psychodynamische Ansatz – einfach erklärt am Beispiel Burnout
KlientInnen kommen mit den unterschiedlichsten Zielen ins Coaching. Manche haben Karrierewünsche und fragen nach dem passenden nächsten Schritt, manche kommen mit konflikthaften Teamdynamiken, wieder andere mit persönlichen Problemen wie einem andrängenden Burnout-erleben oder der Tendenz, auf Herausforderungen mit Prokrastination zu reagieren. Die Wirksamkeit einer professionellen Coaching-Begleitung wurde vielfach nachgewiesen. Wir arbeiten im Mind Institut psychodynamisch und auch die psychodynamische Herangehensweise an Veränderungsprozesse ist vielfach evidenzbasiert. Im Bereich der therapeutischen Veränderungen machen die psychodynamischen Verfahren schon zwei der vier anerkannten Verfahren aus, was sicherlich ein klares Zeichen dafür ist, dass sie das psychodynamische Denken für nachhaltig transformierende Veränderungen wirklich eignet. Was genau aber mit dem psychodynamischen Ansatz gemeint ist, das erfahrt ihr jetzt:
Der Begriff [Psychodynamik] meint das nicht bewusste, innere Kräftespiel im Hintergrund des bewussten Erlebens und Verhaltens. (Rudolf 2005, S. 305, zit. in Jungclaussen2013, S. 105).
Es geht also um unbewusste Dynamiken. Die meisten Menschen wissen, dass wir nicht nur von unseren bewussten Gedanken; Gefühlen und Wünschen gesteuert werden, sondern dass diese nur ein kleiner Ausschnitt dessen sind, was uns ausmacht und antreibt. Die Psyche ist hochkomplex und letztendlich ist das primäre Ziel unsere Psyche ein mehr oder weniger fragiles Gleichgewicht zu halten, in dem es uns gut geht und in dem unterschiedliche Wünsche und Ideale einigermaßen ausbalanciert sind.
JedeR von uns hat eine ganz persönliche innere Dynamik und diese ist sozusagen „das Produkt“ unserer Gene, unserer Erfahrungen und der Bewältigungsstrategien dieser Erfahrungen.
Frühe Erfahrungen
Wir kommen in sehr individuellen Elternhäusern zur Welt und werden geprägt durch die bestehenden Beziehungen, die Stimmungen, die Liebe und die Konflikte, die es dort gibt. Und als Kinder wollen wir vor allem eines: Wir wollen geliebt und wertgeschätzt werden. Und so passen wir unsere Psyche, die anfangs recht elastisch ist, in das Gerüst aus Bedingungen dieser Familie, in der wir leben. Wir reagieren auf die Wünsche unserer Eltern, manchmal indem wir ihnen entsprechen, manchmal auch in dem wir das Gegenteil machen. Wir erleben, wie unsere Eltern Liebe ausdrücken, wie sie ihre Wut zeigen und wie sie sich und uns regulieren, wenn wir aufgeregt sind. Wir spüren die Anspannung in der Luft. Wir verinnerlichen all diese Stimmungen als unser ersten und tiefsten Beziehungsmuster und als Normalität. In diese Beziehungen hinein organisieren wir uns und unsere auch manchmal widersprüchlichen Wünsche. Denn zum Wunsch nach Nähe und Liebe kommt auch der Wunsch nach Autonomie und Abgrenzung. Beide Wünsche sind vorhanden und existieren zugleich, sie sind Spannungspole in uns, unser Leben lang.
Nun ist es aber meist so, dass in der Wirklichkeit nicht beide Wünsche zugleich gelebt werden können und Familien immer auch (unbewusste) Regeln, Wertungen und Tabus haben. Die Erwartungen an die Kinder sind hoch. Was aber nun tun, wenn die Erwartung ist, stark und groß zu sein, wohin dann mit den Nähewünschen? Oder wenn die Familiengeschichte ganz symbiotisch und nah ist, wohin dann mit unserer Wut und unseren Autonomiewünschen?
Das Unbewusste wirkt
Genau: Sie müssen ins Unbewusste verschoben werden, denn wie gesagt: es ist die Entscheidung zwischen „Lebe ich alles was ich bin und will“ oder „Werde ich geliebt weil ich den Erwartungen entspreche“, es ist also die Frage zwischen der Liebe zu sich und der Liebe zum anderen. Das klingt, als wäre es einfach, sich mal so und mal so zu entschieden. Aber Kinder sind existentiell abhängig von den Eltern und so ist es eben keine Frage. Zudem kommt, dass die Erwartungen und Verbote der Eltern mit der Zeit internalisiert wurden. Wir erleben nun die Welt so wie die Eltern (auch wenn uns das weniger bewusst ist als wir denken) und wir nehmen soziale Situationen wahr vor dem Hintergrund der Erfahrungen.
Jetzt können wir uns das Unbewusste vorstellen wie einen Topf voll Wünsche und Gedanken, die nicht hinein gepasst haben in das soziale Gefüge unserer ersten Welt. Das Unbewusste jedoch hat eine zentrale Eigenschaft – es ist dynamisch! Es drängt an die Oberfläche, es möchte bewusst werden, sich zeigen. Es sind Sehnsüchte, die sich erfüllen möchten, Anteile von uns selbst, die gelebt werden möchten.
Also braucht es ein System aus psychischen Strategien, die das Unbewusste daran hindern bewusst zu werden. Wir entwickelt Abwehrstrategien und Hemmungen, Grenzwächter zum Unbewussten. Welche Abwehrstrategien wir entwickeln, hängt wiederum stark mit der schon beschriebenen Dynamik in der Familie zusammen. Auch unsere Abwehr passt zu den Erwartungen und Strukturen in der Familie. Die Abwehrstrukturen zusammen genommen wachsen in uns hinein und prägen unseren Charakter. Sie prägen die Art, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir sozial interagieren. Die gesammelten Abwehrstrategien und die Art, wie sie unsere Persönlichkeit beeinflussen wird im Fachjargon „Neurosenstruktur“ genannt.
Ein Beispiel aus der Coachingpraxis zur Veranschaulichung
Als älteste Tochter hat die Klientin schon früh Verantwortung für jüngere Geschwister übernehmen müssen. Sie bekam Lob und Anerkennung für ihre ruhige und liebevolle Art mit den Geschwistern und verinnerlichte diese Ansprüche an sich selbst. Sie hat hohe Ideale und Ansprüche an sich und arbeitet extrem viel. Zudem ist sie sehr rational und spürt wenig Gefühle. Wenn sie eigentlich wütend werden soll, wird sie eher hoffnungslos und melancholisch. Aggressionen spürt sie selten. Sie kommt mit einer Burnout Gefahr und manchmal depressiven Anflügen in die Coaching-Praxis.
Die Biographie ist deutlich geworden: Sowohl Wünsche nach Zuwendung, ohne etwas leisten zu müssen, als auch die damit einhergehende Wut, diese bedingungslose Zuwendung nicht bekommen zu haben, wurde verdrängt. Geblieben ist ein braves Mädchen, freundlich angepasst. Die Abwehr ist altruistisch, das heißt, sie kümmert sich sehr gerne um andere und ist Ärztin geworden. Anerkennung durch die, die sie versorgt, dass ist ihre Zugangsquelle zu dem, was sie stärkt. Auch die hohen Ich-Ideale wehren die eigene Bedürftigkeit der Klientin ab. Ihre Aggressionen sind verdrängt und werden rationalisiert.
Alles zusammen hat sich also ein bestimmter Charakter entwickelt, eine, wie wir sagen, bestimmte Neurosenstruktur. Auf diese Neurosenstruktur trifft nun ein bestimmter Auslöser. Das könnte in unserem Fall einiges sein: Eine erfolgreichere jüngere Kollegin, eine körperliche Erkrankung, der Auszug der eigenen Kinder (die nun nicht mehr versorgt werden können). Also sozusagen „Versagungs-Situationen“. Es können aber auch „verlockende Situationen“ sein: Ein neuer Mann, der sie einlädt, eine Weltreise mit ihr zu machen. Alles was seelisch aufwühlt und das so lange Versteckte zum herauskommen einlädt, kann es sein. Die Abwehr der Klientin ist nun sehr beansprucht. Die Grenzwächter sind alarmiert, unbewusste Wünsche und Gefühle (Wie Neid, Erschöpfung, Wut, Schmerz, aber auch Freiheitswünsche) drängen an. Vielleicht reichen dann bisherige Strategien nicht mehr, das Zurückgehaltene weiterhin zurück zu halten. Deutlich wird, die Klientin kann ihr inneres Gleichgewicht nicht mehr halten. Sie wird labil. Die Abwehr wird labil. Es braucht nun neue Strategien, um sich zu stabilisieren.
„Der Zusammenhang zwischen einer inneren, lebensgeschichtlich gewachsenen Disposition (unbewusste, vorherrschende Bedürfnisse und Gefühle) und äußeren Ereignissen, welche das bestehende psychische Gleichgewicht labilisiert, wird als Psychodynamik bezeichnet“. (Rudolf 2005, S. 305, zit. in Jungclaussen2013, S. 105).
Die Balance
Wenn die äußeren Ereignisse sehr aufwühlend oder aufregend sind und das innere Gleichgewicht gar nicht mehr ausbalanciert werden kann, dann ist die Lösung die Entwicklung einer „Symptomatik“, einer Art von psychischen Störung, auch wenn hier das Wort Störung nicht ganz passt. Denn spannenderweise ist eine solche Symptomatik meist nicht nur ein Problem, sondern auch immer ein bisschen eine Lösung. Sozusagen ein Kompromiss. Zwischen dem was das Unbewusste eigentlich wollte und dem, was noch erlaubt ist und den Ansprüchen und Erwartungen genügt. Entwickelt die Klientin nun ein Burnout, so kann sie sich endlich ausruhen und sich um sich kümmern, sie ist aber dabei nicht egoistisch und lässt niemandem im Stich, denn sie ist ja „krank“. Ein Burnout ermöglicht ihr endlich die so lange vernachlässigte Selbstfürsorge und das, ohne die Werte und Erwartungen der (verinnerlichten) Familie zu verletzen. Also ein guter Kompromiss.
Auch viele der Dynamiken, die wir aus zwischenmenschlichen Interaktionen kennen, viele Konflikte und angespannte Situationen lassen sich sehr gut vor diesem Hintergrund erklären. Denn ein wirklich wirksamer Abwehrmechanismus ist die Projektion. „Ach die ist ja aggressiv“, wie unangenehm“ sagt unsere Klientin zu ihrer Kollegin, auf die sie neidisch ist. Und wie wunderbar, auf diese Weise kann sie sich von der Kollegin abgrenzen, so möchte sie eh nicht sein, „dann lieber keine Beförderung“. Das Gefühl der eigenen Aggression ist bei der Kollegin deponiert und mit ihm auch der eigene Wunsch nach Aufstieg und Anerkennung.
Coaching hilft
Ein psychodynamisches Coaching greift nun in diese Dynamiken auf gewisse Weise ein. Ein zentrales Ziel ist das Bewusstwerden unbewusster Gefühle und Wünsche. Bewusstwerden ist an der Stelle jedoch nicht kognitiv gemeint. Es braucht einen gespürten Zugang, eine Akzeptanz und ein „seelisches Zusichnehmen“ dieser Selbstanteile. Wir nennen es die Integration abgewehrter Wünsche. Wer Abgewehrtes integriert, wird vollständiger und damit mehr in der Lage, für auftauchende Wünsche auch zu sorgen. Es gibt die Erlaubnis dazu und das Entwickeln von Symptomatik wird dann weniger nötig.
Unsere Klientin könnte ab und zu pünktlich abends nach Haus gehen oder sich für eine Weltreise entscheiden, innerlich mit dem Gefühl, rutscht mir doch alle mal den Buckel runter“, auch wenn zugleich (! ) das Gefühl von Fürsorge und Verantwortung und Zuneigung zu ihrer Arbeit spürt. Oder sie spürt, dass sie ihre Kollegin vielleicht sogar mögen kann, wenn sie sich traut, ihre eigenen Aggressionen mehr zu leben, sich für die eigene Beförderung einzusetzen und zu verstehen, dass ihr Neid vor allem das Kind der eigenen Wünsche war.
In einem Coaching kann sie lernen all diese Gleichzeitigkeiten zu akzeptieren. Mehr noch, sogar zu feiern, denn das Erleben seelischer Vollständigkeit stärkt, empowert und macht selbstbewusst.
Auch Spannungen im Team, Hierarchiekonflikte oder Konflikte zwischen KollegInnen können in einem solchen Coaching gut besprochen werden, denn spannend auch ist immer der Punkt, was passiert, wenn nun zwei Menschen, mit zwei psychodynamisch wirkenden Kräftespielen aufeinandertreffen. Mehr dazu findet ihr dann im nächsten Artikel.
Oder in einem persönlichen Coaching – meldet euch gerne bei Interesse bei uns!
Dipl. Psych. A. Wurst. Coach und Redaktion bei dynaMIND