Wie Kreativität entsteht
In unserem dreiteiligen Artikel geht es um Kreativität. Wir fragen uns,
- warum Kreativität wichtig ist
- was uns zu schöpferischem Handeln bewegt
- wie wir mit Kreativität aus der aktuellen Krise kommen
- und wie Kreativität im Unternehmen gefördert werden kann
Was bewegt uns zu schöpferischem Handeln?
Betrachtet man die Frage, warum ein Individuum kreativ wird, was also zur Kreativität motiviert, dann findet man in den psychoanalytischen Theorien Antworten.
So beschäftigte sich schon der Vater der Psychoanalyse mit Kreativität. Sigmund Freud legte den Fokus auf die kreative Person, die Persönlichkeit des Künstlers, der Triebimpulse durch Sublimierung zu befriedigen sucht. Für Sigmund Freud war die Sublimierung eine Möglichkeit, libidinöse Energien zu wissenschaftlicher und künstlerisch kultureller Entwicklung zu konvertieren. Die Triebe erhielten auf diese Weise soziale Wertschätzung und wurden zu einem Teil des zivilisierten Lebens (Freud, 1952).
Für Hanna Segal und Melanie Klein ist künstlerisches Schaffen ein Versuch das Liebesobjekt im Innen und Außen des Ichs wiederherzustellen und so einen Wiedergutmachungsprozess einzuleiten. Im künstlerische Prozess wird zuerst defragmentiert und aufgelöst und anschließend folgen die Integration und das Zusammenfügen (Klein, 1995, pp. 210-218). Das Coronavirus schürt die Angst vor dem unsichtbaren Zerstörerischen. Wir sind mit unserer Angst vor dem Tod konfrontiert. Schaffen wir es die verlorengegangene Sicherheit zu betrauern, entstehen Möglichkeiten mit der Trauer umzugehen und sie kreativ zu nutzen.
Winnicott bezeichnet Kreativität im Allgemeinen als Lebendigkeit. Das muss nicht explizit ein Kunstwerk sein, es geht vielmehr um den schöpferischen Prozess. Die kreative Wahrnehmung hilft dem Menschen das Leben als lebenswert anzusehen. Winnicotts Gedanken passen gut zu neuen Erkenntnissen. Denn was wir erleben, das schreibt sich in unserem neuronalen Netz nieder und verändert uns. Auch auf neuronaler Ebene sind wir verändert und es entsteht Neues. Die Neugier für Neues gehört zum Menschen und sie bildet die Grundlage für unsere Lernfähigkeit.
Das dopaminerge System wird aktiviert. Durch das Entdecken von Neuem wird Dopamin ausgeschüttet und sorgt dafür, dass Handeln belohnt wird und sich gut anfühlt. Wird unser kreatives Potential aber nicht ausreichend genutzt, dann fehlen diesem System die erforderlichen Impulse / Erfahrungen und es beginnt zu verkümmern. Das kann passieren, wenn zu viel Eintönigkeit oder Routine herrscht, oder wenn durch Verunsicherung und Angst das Stress-System aktiviert wird. Der Mensch schaltet auf Notfallreaktion. Die Erregung ist so stark, dass Energie für Angriff oder Flucht zur Verfügung steht, aber keine komplexen handlungsleitenden Erregungsmuster mehr aktivierbar sind. Kreatives Problemlösen ist unter diesen Umständen nicht mehr möglich (Hüther & Schmid).
Mit Kreativität aus der Krise?
Doch was macht nun kreativ? Ist es die Krise, der innere Konflikt, die Trauerarbeit, die uns vorantreibt und zu neuen Schöpfungen drängt? Oder sind wir kreativ, wenn wir uns wohlfühlen und spielerisch Neues entdecken?
Die positive Psychologie hat sich mit dem Zweck von positiven und negativen Gefühlen beschäftigt. Es sind Ereignisse, Begegnungen und Gedanken, die Gefühle in uns auslösen und Gefühle weisen uns die Richtung unseres Handelns. Negative Emotionen machen Handeln dringlich. Werden negative Emotionen erlebt, wird schneller gehandelt und es wird auf naheliegende Lösungen zurückgegriffen. Bei Angst z.B. wird schnell Energie bereitgestellt, um durch Flucht oder Kampf das Leben zu sichern. Der Zusammenhang zwischen positiven Emotionen und Handlungstendenz ist dagegen eher vage. Die Ausschüttung von Dopamin weitet Gedanken wie Handlungsrepertoire. Es scheint als wären positive Emotionen dazu da, das Denken weit und flexibel zu machen, Aufmerksamkeit auszuweiten und neue Erfahrungen zu integrieren (Fredrickson, 1998, 2001; Fredrickson, Mancuso, Branigan, & Tugade, 2000). Freude z.B. schafft Weite, indem sie die Lust an Spiel und Kreativität weckt und Grenzen in Frage stellt (Ellsworth & Smith, 1988). Interesse provoziert Neugierde und intrinsische Motivation (Csikszentmihalyi, 2014; Ryan & Deci, 2000).
Durch Krisen entstehen Ängste. Deshalb wollen wir Veränderung. Neues soll entstehen. Doch um in einen kreativen Prozess einzutauchen, braucht der Mensch gute Gefühle. Was hilft uns aus diesem Dilemma?
Containing – der Weg aus dem Dilemma!
Der Begriff Containing wurde von dem britischen Psychoanalytiker Wilfred Bion 1962 geprägt. Es bezeichnet einen Vorgang, in dem Psychotherapeuten schwierige, oftmals projizierte Gefühle von Patienten aufnehmen und Worte dafür finden und sie so zugänglich und handhabbar machen.
Mathias Lohmer nutzt diesen Begriff in der psychodynamischen Unternehmensberatung. Hier kommt diese Aufgabe der Führungsperson zu. Das Bedürfnis von Menschen unangenehme Gefühle wie Angst, Ohnmacht und Unsicherheit nach außen zu projizieren und sie so loszuwerden, bleibt nach Lohmer ein Leben lang bestehen.
Gerade in Krisensituationen zeigt sich in Unternehmen, dass Ängste oder andere unangenehme Gefühle auf Kollegen oder Führungspersonen projiziert werden.
Schafft es die Führungsperson diese Spannungen aufzunehmen und auszuhalten, ohne gleich angesteckt zu werden, dann kann daraus positive Entwicklung und Kreativität entstehen (Lohmer, 2008, p. 37).
Unterstützt und glaubwürdig gemacht wird dieser zwischenmenschliche Umgang, wenn die Unternehmenskultur widerspiegelt, dass ein Unternehmen nicht allein von wirtschaftlicher Rationalität getrieben ist, sondern die Gesellschaft zukunftsweisend mitgestalten will. Die Menschen aus denen ein Unternehmen besteht sind wichtig und somit ist es auch wichtig, wie es Ihnen geht.
Im wirtschaftlich erfolgreichen Deutschland der „Vor-Corona“-Zeitrechnung fand gerade das Umdenken statt, dass Werte – wie ein wertschätzender Umgang und ein motivierendes, kreatives Arbeitsumfeld – wichtig sind, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden.
In einer Unternehmenskultur, in der Sinnstiftung, Begeisterung und Schöpfertum ernst genommen werden, entsteht ein haltendes Klima, in dem trotz schwieriger Gefühle Veränderungen, Übergänge und Kreativität stattfinden.
Für die Menschen bietet die Kultur den Raum, in dem die Kommunikation stattfindet. Die Symbole einer Kultur nutzen zu können, hilft dem Menschen, sich als Teil einer symbolischen Ordnung zu sehen. Es entsteht auch hier ein Container für Gefühle.
Eva Weisse, Coach bei dyanMIND
Literaturverzeichnis
Freud, S. (1952). Gesammelte Werke: chronologisch geordnet E R S T E R BAND
WERKE AUS DEN
JAHREN 1892-1899 (Vol. 1.). London: Imago Pub. Co.
Klein, M. (1995). Gesammelte Schriften. Bd. 1 u. 2. In: Stuttgart-Bad Cannstatt (frommann-holzboog).
Lohmer, M. (2008). Psychodynamische Organisationsberatung. Konflikte und Potentiale in Veränderungsprozessen (2. erw. Auflage ed.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag.