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Psychoanalytisches Business Coaching

Die klassische Analyse: Ein historischer Abriss nach J. Sandlers „Freuds Modelle der Seele“

In den 1970er Jahren veröffentlichte der britische Psychoanalytiker und Theoretiker Joseph Sandler (1927-1998) eine Reihe von Essays, die der klassischen, freudianischen Psychoanalyse gewidmet sind. Zusammengefasst in dem Band „Freuds Modelle der Seele“ (Sandler, Holder, Dare & Dreher, 2003) rekapitulieren sie die Entstehung der „Triebpsychologie“, die den Ausgangspunkt aller späteren Weiterentwicklungen der psychoanalytischen Theorie bildet. Sandlers Bedeutung für die Psychoanalyse gehen weit über diese historische Darstellung hinaus. Es ist sein Verdienst, eine Verbindung zwischen den Anna-Freudianischen-Ansätzen der „Ich-Psychologie“ und der sogenannten „Objektbeziehungstheorie“ hergestellt zu haben. Damit trug er wesentlich zum Dialog zwischen diesen ursprünglich sehr weit auseinander liegenden Positionen bei (vgl. Fonagy & Cooper, 2003).

In der folgenden Zusammenfassung soll in kurzer Form Sandlers Perspektive auf die frühe Geschichte der Psychoanalyse in deren drei Phasen dargestellt werden. Darin wird auch deutlich, wie sich klinische Beobachtungen und Behandlungsmethoden einerseits und theoretische Formulierungen andererseits wechselseitig beeinflusst haben. Irgendwann wurde die Theorie so komplex, dass grundlegende Änderungen erforderlich waren, damit die Theorie neue Beobachtungen noch mit umfassen konnte. (Anm.: Alle wörtlichen Zitate im folgenden Abschnitt stammen aus dem Band „Freuds Modelle der Seele“, herausgegeben von Sandler et al. (2003).

Die Jahre vor 1897: Das Affekt-Trauma-Modell
Sigmund Freud, promovierter Arzt aus Wien, besuchte 1885, im Alter von 29 Jahren, den berühmten französischen Psychiater und medizinischen Hypnotiseur Jean-Martin Charcot. Dieser konnte allein durch Suggestion und Hypnose Patienten dazu bringen, ihre körperlichen Symptome aufzugeben, obwohl man bei ihnen neurologische Defekte annahm. „Freud nahm auch Charcots Überzeugung zur Kenntnis, diese Patienten (sowohl Frauen als auch Männer) hätten mit gravierenden sexuellen Problemen in ihrem Leben zu kämpfen.“  (S.24).

Freud war von der Parallele zwischen der durch Hypnose induzierbaren psychischen „Dissoziation“ und der Dissoziation zwischen einem bewussten und einem unbewussten Teil der Psyche beeindruckt. Er übernahm aber Charcots Ansätze nur höchst selektiv. Freud war nicht überzeugt, dass die Hysterie eine Nebenwirkung einer organischen Krankheit sei, sondern, dass seelische Störungen einen psychischen Ursprung haben könnten; „zum anderen baute er den Begriff der Dissoziation verschiedener Aspekte des psychischen Funktionierens weiter aus, ein Konzept, das in der einen oder anderen Form im psychoanalytischen Denken zentral geblieben ist.“  (S. 25).

In Wien versuchte Freud in seiner eigenen Praxis die Hypnose bei neurotischen Störungen anzuwenden. Hierbei kam es zu einer Zusammenarbeit mit Josef Breuer bei der Suche nach einem Verständnis der Hysterie und verwandter Störungen. 1895 erschienen Freud und Breuers „Studien über Hysterie“. „In Freuds gemeinsamer Arbeit mit Breuer kam eine Überlegung von allergrößter Bedeutung zum Tragen, der zufolge die Symptome des Patienten als Durchbruch aufgestauter und durch eine Art Druck zurückgehaltener emotionaler Kräfte in entstellter Form aufzufassen waren.“ (S. 26). Freud erklärte im Gegensatz zu Breuer und zur französischen Schule die Dissoziation als Abwehrvorgang. 1894 und 1896 erschienen zwei Arbeiten über „Abwehr-Neuropsychosen“.

Freud sah bewusste und unbewusste Teile des Seelenlebens bei jedem Menschen. Bei realen traumatischen Ereignissen können neurotische Patienten Gefühle, die sie mit Moral nicht in Einklang bringen können, nicht normal abführen. Diese Affekte wirken weiter unbewusst. Die Behandlung erfolgt durch Erinnerung, Aufgeben oder Abreagieren des Affekts und durch die bewusste Integration zuvor zurückgewiesener psychischer Inhalte. (S. 26)

Nach Erprobung verschiedener Varianten der Hypnose und Suggestion fand Freud die „freie Assoziation“, bei der der Patient gebeten wurde, seine Gedanken, so wie sie ihm durch den Kopf gingen, mitzuteilen. Von der Hypnose behielt Freud nur die Lagerung des Patienten auf einem Ruhebett bei, hinter dem Freud saß, so daß er den Patienten sah, der Patient ihn aber nicht. (S. 27)

Zum Ende der ersten Phase bis 1897 definierte Freud Konflikt und Abwehr, Widerstand und Übertragung und differenzierte Aktualneurosen und Psychoneurosen. Zudem entstand  1895 der „Entwurf einer Psychologie“ formuliert in neurophysiologischen Begriffen (S. 28).

„Freud brachte die allgemeine Idee eines »unbewussten Seelenlebens« in seinem Denken zur Geltung, eine Vorstellung, die er in seinen Theorien über das unbewusste psychische Funktionieren noch beträchtlich ausarbeiten sollte.“ (S. 28).

 

Die Jahre 1897 bis 1923: Das topographische Modell
In der zweiten Phase entwickelte Freud die psychoanalytische Theorie und Praxis. Entgegen seiner bisherigen Auffassungen schloss Freud aus der Arbeit mit seinen Patienten und der Entdeckungen in seiner Selbstanalyse, dass Erinnerungen an sexuelle Verführungen nicht zwingend real seien und widerrief damit seine Verführungstheorie. „Die inzestuösen Ereignisse, an die sich Freuds Patientinnen erinnerten und die er zuvor für bare Münze genommen hatte, stellten für ihn nun Wünsche der Patienten dar, die in der Phantasie befriedigt wurden.“ (S. 31). Damit kam es zu einer Abkehr von der Theorie der traumatischen Verursachung der Psychoneurosen und einer Hinwendung zur Geschichte und den Schicksalen der inneren Regungen des Patienten.

Die veränderte Sicht ermöglichte Freud die grundlegende Unterscheidung zwischen objektiver und psychischer Wahrheit sowie die Formulierung von Schlüsselkonzepten der psychoanalytischen Theorie wie Verdrängung, Konflikt, Wiederholungszwang und Projektion.  In diesem Zusammenhang wurde die Analyse der Träume außerordentlich wichtig. Die Traumdeutung verhalf zur Kenntnis des Unbewussten im Seelenleben (S. 32).

Die Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Aspekten des Seelenlebens wurden dann im topographischen Modell mit seinen drei Systemen – Bewusst, Vorbewusst (Wissen, Gedanken und Erinnerungen) und Unbewusst (Triebe und Wünsche) – weiter ausgearbeitet.  1901 veröffentlichte Freud die Arbeit „Zur Psychopathologie des Alltagslebens“.

Mit der Veröffentlichung der „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ 1905 und der Triebtheorie lag die erste Ausarbeitung der Psychoanalyse vor (S. 33). „Die psychoanalytische Theorie wurde nun unmissverständlich zu einer Triebpsychologie, und die »psychosexuellen« Entwicklungsstufen in der Kindheit (oral, anal, phallisch-ödipal) gewannen nicht nur im Hinblick auf spätere neurotische Konflikte große Bedeutung, sondern auch deshalb, weil sie der Psychoanalyse einen grundlegenden entwicklungspsychologischen Rahmen zur Verfügung gestellt haben.“ (S. 34).

In der zweiten Phase konzentrierte sich Freud mehr auf die Anpassung seiner Patienten an ihre inneren Kräfte. Das spiegelt auch die Behandlungsform wieder nach der Grundregel der freien Assoziation (Couch, Berichte und Assoziationen von Träumen, der abstinente Analytiker) (S. 36). Freud veränderte seine Triebtheorie mehrmals. Zu der Zeit vertrat er auch die Auffassung, dass sich nahezu alle Interessen auf Transformationen infantiler sexueller und aggressiver Regungen zurückführen lassen.

1914 führte Freud das Konzept des Narzissmus ein. Im  Aufsatz 1914 ging es ihm außerdem um die Frage, wie das Kind anhand des elterlichen Beispiels Ideale ausbildet, und er stellte das Konzept des Ich-Ideals vor. Wahrscheinlich durch die Brutalität des ersten Weltkrieges angeregt beschäftigte sich Freud gegen Ende der zweiten Phase mit Aggression, Masochismus, gegen das eigene Selbst gerichtete Aggression, der schweren melancholischen Depression und führte 1920 das Konzept des Todestriebs ein  (vgl. S. 37).

 

Die Jahre nach 1923: Das Strukturmodell
Zu Beginn der dritten Phase legte Freud die Grundlage des Strukturmodells mit der Veröffentlichung „Das Ich und das Es“ (1923) und „Hemmung, Symptom und Angst“ von 1926 (S. 37). Freud führte das Strukturmodell zusammen mit der Diskussion der unbewussten Schuldgefühle ein und schrieb diese dem Über-Ich als besonders strukturierten Teil der Psyche zu. „Im Strukturmodell schlug Freud dann eine Dreiteilung des psychischen Apparats vor in die drei hauptsächlichen Strukturen oder Instanzen, die er das Es, Ich und Über-Ich nannte.“ (S. 38). Siehe dazu auch Freuds eigenhändige Illustration der „Strukturverhältnisse der seelischen Persönlichkeit“, die er 1933 für die „Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ anfertigen wird (Bild oben).

„Das Bewusstsein“, schreibt Sandler, „kam nun als ‚Wahrnehmungsorgan‘ des Ichs in den Blick. Das Ich erhielt die Eigenschaften einer Struktur, die drei Herren auf einmal zu dienen versucht – dem Es, dem Über-Ich und den Forderungen der Außenwelt. Angst konnte auftreten, sobald von einer dieser drei Quellen eine Drohung ausging.“ (S. 39). Damit wurde die Angst nicht mehr als Anzeichen eines bedrohlichen Triebwunsches angesehen, sondern als spezifische Funktion des Ichs.

Mit „Jenseits des Lustprinzips“ im Jahr 1920 ordnete Freud die Aggression nun dem Es zu. „Die Beschäftigung damit, wie das Ich sich an die verschiedenen an es gerichteten und häufig konfligierenden Forderungen anpasst, spiegelte sich in den Änderungen der psychoanalytischen Technik wider. Die reale Welt, die in der zweiten Phase an Bedeutung eingebüßt hatte, wurde jetzt wieder wichtiger. Die Abwehrmechanismen des Ichs wurden genauer untersucht und in der Behandlungssituation gedeutet.“ (S. 39). Diese dritte Phase endet mit der Veröffentlichung von Freuds letztem Werk, dem „Abriss der Psychoanalyse“.

Die psychoanalytische Theorie wurde durch Zeitgenossen Freuds und nachfolgende Analytiker substantiell weiterentwickelt, sowohl in ihren theoretischen Konzepten, als auch in ihren Anwendungsformen. Psychodynamisches Arbeiten reicht heute von der klassischen, vierstündigen Übertragungsanalyse bis zum fokussierten, psychoanalytischen Coaching.
Thomas Kretschmar

 

Quellen:

Fonagy, P. & Cooper, A. M. (2003). Joseph Sandler’s intellectual contributions to theoretical and clinical psychoanalysis. In A. M. Cooper, Peter Fonagy & R. S. Wallerstein (Hrsg.), Psychoanalysis on the Move: The Work of Joseph Sandler (S. 1-29). London: Routledge.

Sandler, J., Holder, A., Dare, C. & Dreher, A. U. (2003). Freuds Modelle der Seele. Gießen: Psychosozial-Verlag.