Führung in der Corona-Krise: Burnout oder Boreout-Gefahr?
Fünf Millionen Deutsche leiden an einer Depression – vor der Corona-Pandemie. Die Deutsche DepressionsLiga (DDL) warnt nun vor einer Zunahme psychischer Probleme in Folge der Krise. Faktoren wie soziale Isolation, die Zunahme von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, Insolvenzen und die damit einhergehenden Existenzängste dürften eine Belastungsprobe für viele Menschen darstellen. Aber welchen Einfluss hat die Corona-Krise auf die Arbeit und damit assoziierte psychische Belastungen?
Eine Trennung der Gesellschaft in system- und nicht-systemrelevante Berufe
Die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen zur Verlangsamung der Verbreitung des Coronavirus verändern nicht nur die Arbeitsbedingungen nahezu jeder Berufsgruppe, sondern auch deren Arbeitspensum. Während in vielen Organisationen Arbeitsabläufe und damit Aufgabenbereiche vorübergehend wegfallen und Arbeitnehmer auf Kurzarbeiterverträge umgestellt werden, nimmt die Arbeit in anderen Bereichen zu. Die sogenannten systemrelevanten Berufsgruppen, dazu gehören unter anderem medizinisches Personal, Pflegekräfte, PolizistInnen, Feuerwehrleute und alle Arbeitnehmer, die die Lebensmittelversorgung sicherstellen, müssen nun Hochleistungen erbringen. In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen fallen Überstunden an, Angestellte großer Supermarktketten arbeiten nun auch am Sonntag.
Sind systemrelevante Berufsgruppen Burnout-gefährdet?
Statistiken zeigen, dass soziale und helfende Berufsgruppen besonders stark vom Burnout-Syndrom betroffen sind. Laut Burnout- Forschung scheinen neben der Arbeitsbelastung intrapsychische Persönlichkeitsvariablen eine bedeutsame Rolle zu spielen. Demnach leiden Menschen, die eine hohe intrinsische Motivation aufweisen sowie hoch mit ihrer Arbeit identifiziert sind, besonders häufig an Burnout. Aus psychodynamischer Sicht ist die Arbeit hier die zentrale Quelle der Regulation des Selbstwertgefühls. Der mit Größenvorstellungen und Rettungsfantasien einhergehende Wunsch, etwas Bedeutsames zu verändern oder anderen Menschen zu helfen, stabilisiert das Selbstwertgefühl. Durch ein erhöhtes Arbeitspensum können eigene, oft überhöhte Ansprüche nicht erfüllt werden und die Regulation gerät ins Wanken. Die Betroffenen nehmen eine Diskrepanz zwischen idealem und realem Selbst wahr, was häufig zu einem massivem Enttäuschungsgefühl führt. Dieses wiederum bringt den Kreislauf erst so richtig in Gang. Nun wird der Versuch unternommen noch mehr zu arbeiten, die Funktionsfähigkeit zu erhalten – was schlussendlich häufig in einen Erschöpfungszustand mündet.
Und was ist mit den Beschäftigten nicht-systemrelevanter Berufsgruppen?
Im Ballungszentrum Berlin, das als Vorreiter des mobilen Arbeitens gilt, werden viele Arbeitnehmer nicht-systemrelevanter Berufsgruppen dazu angehalten, aus dem Home-Office heraus zu arbeiten. Kontaktpunkte im Nahverkehr sowie am Arbeitsplatz sollen auf diese Weise minimiert werden. Neben dem Wegfallen realer sozialer Kontakte mit KollegInnen, fällt bei vielen Beschäftigten auch weniger Arbeit an. Andere müssen Aufgaben übernehmen, die laut Stellenbeschreibung einer strukturell niederen Funktion angehören würden. Es kommt zu Unterforderung und Langeweile – „Diagnose Boreout“ wie es Werder und Rothlin in ihrem 2007 erschienenen Buch bezeichnet haben. Aber nicht jede Person, die unterfordert ist, leidet an einem Boreout. Die Autoren nennen weitere Faktoren, die zu dem Auftreten von Boreout führen können. Dazu gehört eine mit der Unterforderung einhergehende Sinnkrise sowie die Unklarheit über die eigene berufliche Entwicklung. In Zeiten von Corona könnten sich viele Beschäftigte nicht-systemrelevanter Berufsgruppen Sinnfragen stellen. Minütlich gibt es neue Informationen mit neuen Erkenntnissen zu Covid-19 und den möglichen Auswirkungen der Corona-Krise. Beschäftigte nicht-systemrelevanter Berufsgruppen sind dieser Informationsflut ausgeliefert, ohne mit ihrer Tätigkeit einen unmittelbaren Zweck für die Gesellschaft im Kampf gegen Covid-19 zu erfüllen. Ein Zustand, der zu Ohnmachts- und Sinnlosigkeitsgefühlen führen kann. Hinzu kommt die Unsicherheit über die Entwicklung der eigenen Tätigkeit sowie die durch die Krise hervorgerufenen möglichen Veränderungen des Arbeitsplatzes.
Gute Führung durch die Corona-Krise
Führungskräfte system- und nicht-systemrelevanter Berufe stehen in der Corona-Krise vor unterschiedlichen Herausforderungen. Während es auf der einen Seite darum geht, Erholungsphasen der MitarbeiterInnen zu ermöglichen, sollte auf der anderen Seite über Entwicklungspotentiale der MitarbeiterInnen gesprochen werden. Der Sinnkrise kann entgegengesteuert werden, indem aktuelle Tätigkeiten in einen zeitlichen Kontext gesetzt und Zukunftsperspektiven erarbeitet werden. Auf beiden Seiten ist es Aufgabe der Führungskraft, Hoffnung und Optimismus zu vermitteln, denn auch das emotionale Ansteckungspotential ist in Corona-Zeiten von großer Bedeutung. Die Aufrechterhaltung regelmäßiger, virtuelle Team Meetings sowie die Förderung sozialer Einzelkontakte können dabei wichtige Bausteine sein.
Psychologin (B.Sc., M.Sc.) Leonie Derwahl
Wenn Sie als Führungskraft Unterstützung in der aktuellen Krisensituation suchen, wenden Sie sich gerne an uns. Wir coachen auch im Videokontakt und am Telefon.