Kreative Unternehmen
In unserem dreiteiligen Artikel geht es um Kreativität. Wir fragen uns,
- warum Kreativität wichtig ist
- was uns zu schöpferischem Handeln bewegt
- wie wir mit Kreativität aus der aktuellen Krise kommen
- und wie Kreativität im Unternehmen gefördert werden kann
Jetzt spielt mal alle schön!
Die Mitarbeiter eines Unternehmens sitzen bestürzt an grauen Tischen vor weißen Wänden und oh je, plötzlich sollen sie kreativ sein. Brainstorming ist mal wieder angesagt, obwohl seit 50 Jahren bekannt ist, dass diese Methode, in der Gruppe praktiziert, nicht unbedingt immer gut funktioniert. Meist wird Kreativität in Unternehmen stiefmütterlich behandelt und erst in Zeiten von einer Krise oder wenn es irgendwo hakt, wird die Wunderwaffe Brainstorming hervorgezaubert. Man braucht schnell neue Ideen. Es herrscht betretenes Schweigen, zögerlich werden die ersten Ideen vorgetragen. Man schreibt mit bunten Filzstiften auf Karteikarten. Mit einem kreativen Prozess hat das nichts zu tun.
Using the Brain to storm a Problem
Es wird seit der Mitte der fünfziger Jahre nach Möglichkeiten gesucht, diesen kreativen Prozess und das kreative Potential von Mitarbeitern zu fördern. Dabei wurde große Hoffnung auf das synergetische Potential von Gruppen gesetzt, um das Kreativitätspool nach dem Motto das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile zu erweitern (Zysno, 1998, pp. 184-210). Als besonders vielversprechend galt das Brainstorming, eine von Alex F. Osborn im Jahr 1939 entwickelten Methode zur Ideenentwicklung. Nach Osborn entwickelt sich Einfallsreichtum in der Gruppe nach zwei Prinzipien. Einmal muss Bewertung aufgeschoben werden und außerdem gilt die Maxime, dass Quantität Qualität erzeugt. Alle Gruppenmitglieder sollten das gleiche Problemverständnis besitzen. Sie halten sich an die vier Regeln, dass alle noch so verrückten Ideen erlaubt sind, nicht bewertet wird, Quantität wichtig ist und dass an die Ideen der Anderen angeknüpft werden darf (Osborn, 2012).
In vielen Studien konnte belegt werden, dass im Brainstorming deutlich weniger Ideen entstanden, als wenn die Gruppenmitglieder ihre Ideen einzeln erdachten und dann zusammentrugen (Isaksen, 1998). Auch zeigten sich in den Studien Distraktoren. Es gab Defizite in der Koordination, weil die einzelnen Mitglieder einer Gruppe durch die Verzögerung ihrer Äußerung Ideen vergessen, während der Wartezeit als unbrauchbar verwerfen und zudem aktiv im Kurzzeitgedächtnis wiederholen (Diehl & Stroebe, 1987). Somit steht eine verminderte Kapazität für die Aufgabe der Ideenproduktion zur Verfügung. Auch geht man davon aus, dass es zu kognitiven Interferenzen kommt, indem sich eigene Ideen und die Ideen anderer vermischen (Hare, 1976). Im Gruppenprozess fand zu schnell eine Fokussierung auf die Ideen statt, die die Zustimmung der Gruppenmitglieder erhalten hatten. Gruppenmitglieder haben ein Bedürfnis nach Kohäsion. Sie tendieren dazu, durch konformes Verhalten den Gruppenstatus zu stabilisieren. Bewertungsangst entsteht besonders dann, wenn viel Wert auf Qualität der Ideen gelegt wird (Witte & Kahl, 2009). Außerdem kann die Anwesenheit Anderer zur sozialen Hemmung führen.
Die Forschung kommt zu der Erkenntnis, dass mehr neue Ideen während des Brainstorming generiert werden, wenn verschiedene Rollen im Team festgelegt werden, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen, also eine Rollendifferenzierung stattfindet. Zysno knüpft hier an Amabiles Konzept an, nachdem bei schöpferischen Menschen Einfallsreichtum, bereichsspezifisches Wissen und Aufgaben-Motivation zusammentreffen. Bei Genies kommt es zu dem seltenen Ereignis, dass diese drei Komponenten alle mit hoher Ausprägung vorhanden sind. Der Vorteil an einer Gruppe ist, dass man Menschen zu zusammenführen kann, dass sie als Gruppe diese drei Komponenten besitzen. Ein Mitglied produziert die Ideen, jemand sollte vorhanden sein, der diese Ideen aufgreift und weiterentwickelt. Ein Drittes wichtiges Element sollte emotional stabilisierend, motivational stabilisierend und unterstützend auf die Gruppe einwirken. Zysko nennt diese Elemente den Ideator, der Spaß am abstrakten Umgang mit Problemen hat. Der Modulator, der das Konkretisieren übernimmt und den Animator, der vermittelt. Der Animator sorgt dafür, dass die Gruppenmitglieder ohne Hemmungen auch die verrücktesten Ideen äußern. Er hat Spaß daran, an der Ideenfindung beteiligt zu sein, obwohl er selber nicht der stärkste Ideenproduzent ist. Er motiviert die Anderen, gibt Wertschätzung und regt so zum Weitermachen an. Das bestätigt im Umkehrschluss was wir über Kreativität wissen. Erst findet divergentes Denken statt, dann konvergentes. Das divergente Denken bedarf eines besonderen Schutzes, weil ich hier bekanntes verlasse und mich auf zu neuen Ufern mache.
Die Wirksamkeit der gewählten Methode, ob Brainstorming, Brainwalking, Brainwriting oder Mind-Mapping ist abhängig von Bedingungen
Brainstorming wurde gerade hervorgehoben und ist sehr bekannt. Um die eben genannten Distraktoren des Brainstorming durch z.B. Gruppenkohäsion zu vermeiden, werden Ideen beim Brainwriting in Ruhe allein auf einem Blatt Papier gesammelt. Beim Brainwalking bleiben die Mitarbeiter in Bewegung, um den kreativen Prozess zu fördern. Flipcharts werden im ganzen Gebäude verteilt und die Teilnehmer der Übung gehen in kleinen Gruppen (2-3 Personen) von Flipchart zu Flipchart und notieren ihre Ideen. Mindmapping kennen die meisten Menschen, hier geht es um die Visualisierung auf Papier. Doch die gewählte Methode ist bei der Kreativität nicht ausschlaggebend. Das Umfeld, die Stimmung im Unternehmen, der Umgang der Mitarbeiter untereinander müssen beachtet werden. Zuletzt nenne ich Faktoren, die Kreativität hindern oder fördern.
Störende Faktoren sind:
- Durch Unruhe, Unterbrechungen und Gruppengröße werden Ideen vergessen. Es kann kein gleichmäßig konzentrierter Gedankenstrom fließen. Ein Flow erleben ist nicht möglich.
- Druck und Stress lassen Mitarbeiter nach sicheren, bekannten Lösungen suchen. Es fehlt ein Angstfreier Raum, in dem Unsicherheit ausgehalten wird, ehe neue Lösungen gefundenen werden.
Kreativitätsfördernde Faktoren für MitarbeiterInnen sind:
- Unterstützung und Wertschätzung der Kreativität durch die Organisationskultur, die Vorgesetzten, deren Führung, sowie der gesamten Belegschaft
- Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz durch Containing und Fehlerkultur
- Hinreichend Zeit für die Aufgabenbewältigung
- Autonomie bei der Aufgabenbewältigung
- Aufgaben- und Entwicklungsbezogenes Feedback
- Beachtung der Rollen und Persönlichkeiten
- Gruppenarbeit nur, wenn es wirklich sinnvoll ist und in überschaubarer Gruppengröß
- Zehn empirisch identifizierte Faktoren des Organisationsklimas von kreativen/ innovativen Unternehmen nach Ekvall (1996)
Ekvall unterschied empirisch zwischen kreativen und innovativen versus stagnierenden Subunternehmern eines multinationalen Technikkonzerns und identifizierte zehn Klimafaktoren:
- Challange: Erleben von Herrausforderung, Involvement, Arbeitsfreude und sinnererleben
- Appreciation: Erlebte Anerkennung bei der Arbeit
- Freedom: Autonomie, die Freiheit, Arbeitsverhalten und Informationen selbst zu bestimmen
- Idea support: Unterstützung neuer Ideen und Vorschläge, Ermutigung, Wertschätzung und Ressourcen dafür
- Trust / openness: Vertrauen, Offenheit und emotionale Sicherheit in allen interpersonalen Arbeitsbeziehungen sowie kooperative Orientierung
- Dynamism / liveliness: Dynamik und Abwechslung, Ereignisreichtum des Arbeitslebens in der Organisation
- Playfulness / humor: Humor und Spielfreude, Spontaneität und entspanntes Klima
- Debates: Debatten, sachliche Diskussionen und Reflexionen von Ideen und Arbeitsprozessen
- No conflict: keine interpersonalen Konflikte, keine persönlichen und emotionalen Spannungen
- Risk taking: Risikobereitschaft, Experimentierfreudigkeit, Ambiguitätstoleranz, Fehlertoleranz
- Idea time: Zeit und Ideenfindung, Ideen zu entwickeln und spontan zu diskutieren
Wer Kreativität will, muss in Kreativität investieren.
Ob ein Mensch sich in einen kreativen Prozess begibt, hängst von der Umwelt ab. Kreative Leistung wächst nicht mit dem ausgeübten Druck an, sondern ist von einer wertschätzenden Kultur abhängig. Welche Werte, Gesetzte und Verbote existieren? Wie wird mit Fehlern umgegangen? Wird schon der kreative Prozess als wertvoll angesehen, oder wird nur das Produkt bewertet? Welche Haltung hat eine Gesellschaft dem kreativen Potential des Einzelnen gegenüber? Wird sich der Arbeitsaufwand und der kognitive Aufwand lohnen?
Um nachhaltig kreativ zu sein, ist es wichtig, dass Menschen sich auf die Kultur in der sie leben oder die Kultur der Organisation für die sie arbeiten, einlassen und diese würdigen können. Die Voraussetzung ist aber, dass sich Menschen von der Kultur, in der sie leben oder arbeiten wertgeschätzt fühlen. Letztendlich geht es um einen Umgang, der Angst mindert und die Entfaltung individueller Potentiale anregt. Wenn sich Menschen in der Krise im aufrichtigen, fürsorglichen Kontakt begegnen, dann wächst das Vertrauen und die Kreativität.
Literaturverzeichnis
Diehl, M., & Stroebe, W. (1987). Productivity loss in brainstorming groups: Toward the solution of a riddle. Journal of personality and social psychology, 53(3), 497.
Hare, A. P. (1976). Handbook of small group research.
Isaksen, S. G. (1998). A review of brainstorming research: Six critical issues for inquiry: Creative Research Unit, Creative Problem Solving Group-Buffalo Buffalo, NY.
Osborn, A. (2012). Applied imagination-principles and procedures of creative writing: Read Books Ltd.
Witte, E. H., & Kahl, C. H. (2009). Sozialpsychologie der Kreativität und Innovation: Pabst Science Publishers.
Zysno, P. (1998). Von Seilzug bis Brainstorming: Die Effizienz der Gruppe [Group efficiency]. Sozialpsychologie der Gruppenleistung [Social psychology of group performance]. Pabst, Lengerich, 184-210.
b