Über den stillen Wunsch nicht ankommen zu wollen
Am Ziel angekommen zu sein, nach einer langen Anstrengung: Was erleben Sie dann? Ein Gefühl von Zufriedenheit oder Stillstand und Stagnation? Es kann beides sein…
Welchen beruflichen Weg wir einschlagen und wie wir diesen gestalten hängt von unserer Persönlichkeit und den damit verbundenen – oft unbewussten – Wünschen, Bedürfnissen, Vorstellungen und Motiven ab. Viele Fragen, die wir uns im Laufe unserer beruflichen Orientierung immer wieder stellen, wie
„Welchen Sinn erfüllt meine Arbeit?“ oder „Was motiviert mich eigentlich zu arbeiten?“
definieren nicht nur unsere Arbeit, sondern auch uns als Person. Um uns den eigenen Vorstellungen und Wünschen zu nähern, setzen wir uns immer wieder neue Ziele und adjustieren die Ausrichtung unseres Kompasses neu. Auf der Reise der eigenen beruflichen Selbstfindung träumen wir von den nächsten Zwischenstationen, all den Abenteuern, die noch auf uns warten. Unser innerer Kompass treibt dazu an, weiterzuziehen, uns neue Ziele zu stecken und nach neuen Erfahrungen zu suchen. Wir genießen die Euphorie der Hochphasen, wenn alles genau wie geplant zu klappen scheint. Wir suhlen uns kurzzeitig in den Rückschlägen der Tiefphasen, bevor wir mit neuer Energie und neuen Zwischenzielen wieder nach vorne preschen. Diesmal vermeintlich auf alles vorbereitet. Mit dem großen Ziel vor Augen. Aber je näher wir ans Ziel kommen, desto lauter wird auch die Stimme: Was kommt nach dem Ankommen? Was passiert, wenn das Ziel, das uns motiviert und angespornt hat, auf einmal wegbricht? Und an diesem Punkt weitergedacht: Wollen wir überhaupt ankommen?
Die Angst vor dem Ankommen: Eine psychodynamische Sichtweise
Aus psychodynamischer Sicht scheint das Setzen immer neuer (höherer) Ziele eine wichtige Funktion zu erfüllen. Und das nicht nur im Sinne der Selbstfindung. Auf dem Weg zu unserem Ziel fühlen wir uns voller Energie und Vorfreude. Unser Wunsch etwas Großes zu bewegen, etwas Grandioses zu schaffen, versetzt uns in eine Art Rausch. Wir fühlen uns groß, mächtig und unentbehrlich. Wenn nun ein lang ersehntes Ziel erreicht wird, all das, auf das wir Jahre lang hingearbeitet haben, kann dies nach einer kurzen Phase der Euphorie und dem Feiern der eigenen Grandiosität, in ein großes Loch führen: Einem Gefühl der inneren Leere. Auch Alterung und Erkrankung, die unsere beruflichen Erfolge mindern, und uns signalisieren, dass wir uns andere – private – Ziele setzen sollten, können eine derartige depressive Verstimmung auslösen. Nach der Psychoanalytikerin Alice Miller handelt es sich bei der Grandiosität und der Depression „um zwei Seiten der gleichen Medaille“. Solange wir auf der Seite der Grandiosität befinden, „im Rausch des Erfolges“, können wir alte Wunden verleugnen. Erst wenn dieser Abwehrmechanismus, der uns so leistungsstark gemacht hat, nicht mehr funktioniert, finden wir uns auf der anderen Seite der Medaille wieder. Die Depression führt uns „in die Nähe der Wunde“ – das ist zwar schmerzhaft, aber nur so kann ein Heilungsprozess beginnen.
Manchmal hilft eine Reisebegleitung
Nicht jeder, der viel leistet, hat Größenfantasien und Grandiositätsempfindungen. Nicht jede, die ihr lang ersehntes Ziel erreicht, fällt danach in ein Loch. Und dennoch handelt es sich um Phänomene, die häufig auftauchen. Es gibt Wunden, die sich früher oder später noch einmal zu Wort melden. Die depressive Verstimmung kann hier ein wichtiges Signal darstellen, denn sie führt uns zu unseren unterdrückten Wünschen und Gefühlen, die aus frühen (schmerzhaften) Beziehungserfahrungen zu rühren scheinen. Im hektischen Arbeitsalltag sind wir uns jedoch kaum darüber bewusst, dass unser übersteigerter Leistungsanspruch, unser enormes Arbeitsengagement und unsere selbst gesteckten, oft überhöhten Ziele als Kompensationsmöglichkeit für alte Wunden dienen. Ein psychoanalytisches Business Coaching kann eine Möglichkeit sein, sich diesen alten Wunden zu widmen, die eigenen unbewussten Motive hinter unserem Verhalten zu verstehen und ein Pflaster auf die alten Wunden zu kleben. Durch die Selbstreflexion und die Reaktivierung eigener Ressourcen aus verschiedenen Lebensbereichen kann so ein stabileres Fundament für das eigene psychische Wohlbefinden geschaffen werden. Auch kann die Auseinandersetzung mit unseren Wünschen, Bedürfnissen, aber auch Angst- und Schamgefühlen, den Weg dafür ebnen mit unserem wahren Selbst in Kontakt zu kommen. Dazu gehört, dass wir die eigenen Gefühle wahrnehmen, zulassen und ausdrücken können – wenn dies gelingt, fühlen wir uns zunehmend lebendiger. Kontaktieren Sie uns gerne, wenn wir Sie auf dieser Reise begleiten können. Wir coachen in unseren Räumlichkeiten in Berlin-Mitte oder auch per Video-Gespräch.
Psychologin (B.Sc., M.Sc.) Leonie Derwahl
Psychologin (B.Sc., M.Sc.) Julia Perlinger